Die Schnecke Otto

Die Schnecke Otto

Es war einmal eine Schnecke namens Otto. Den Namen hat sie sich selbst gegeben, denn er klang so ähnlich wie flotto, und flott wollte sie sein, unsre Schnecke Otto. Denn es gab dort, wo sie wohnte, jedes Jahr einen Wettbewerb. Den Rennschnecken-Wettbewerb. Und Otto wollte eine richtig gute Rennschnecke werden. Er trainierte jeden Tag ganz fleißig. Er stand früh auf, trank einen Liter Milch, denn Milch ist ja gesund. Danach aß er eine Schüssel Müsli, denn auch das ist ja gesund. Und dann gings ab auf die Rennbahn. Kriech, kriech, kriech. Otto strengte sich an. Aber ständig wurde er von jemand überholt. Einmal war es sogar eine Schnecke, die doppelt so alt war wie er selbst. Das war vielleicht frustrierend. Otto wollte schon fast aufgeben, da kam eine Meise angeflattert: „Otto, du darfst nicht traurig sein, ich werde dich trainieren, damit du noch schneller wirst. ok?“ Otto war gefrustet. „Du willst mir helfen? Wie denn? Du bist doch ein Vogel.“ „Lass mich nur machen“, sagte die Meise und flog davon.

Am anderen Tag klopfte die Meise ganz früh an Ottos Tür. „Aufstehen, Faulpelz, das Training beginnt.“ Otto öffnete seine Augen und war wütend. Es war noch viel zu früh, die Sonne war noch nicht mal aufgegangen und außerdem wollte er eigentlich nicht trainiert werden von einem Vogel. Aber Otto konnte gar nichts sagen, denn ein feiner, unwiderstehlicher Geruch von leckerstem Löwenzahn stieg ihm in die Nase. Sofort lief ihm das Wasser im Mund zusammen. „Der frühe Vogel fängt den Wurm. So heißt es bei uns Vögeln. Bei euch Schnecken heißt es: die frühe Schnecke schnappt den Löwenzahn. Also, raus aus den Federn und ab auf die Rennbahn mit dir.“ Otto war noch nie so schnell aufgestanden. Vor seiner Haustür lag es. Das schönste, leckerste und grünste Löwenzahnblatt, das er je gesehen hatte. Wie unter Hypnose steuerte er auf das Blatt zu, doch schwupps, war es weg. Wurde in die Lüfte gehoben, na klar, von der Meise. „Hey“, sagte Otto, „Du hast ja wohl ne Meise, äh…hast ja wohl nen Vogel…äh…ach, du bist einfach mega gemein, dass du jetzt einfach so mein Frühstück wegschnappst. Gib sofort das Blatt her.“ Die Maise lachte laut. „Erst auf der Rennbahn, du lahme Schnecke du.“ Und damit flog sie davon, schnurstracks Richtung Rennbahn. Otto sah ihm nach, dem grünen, saftigen Löwenzahn und plötzlich schien ihn irgendwas anzuschieben, wie ein Motor, den man ihm eingebaut hatte. Er flitze förmlich los, und es war überhaupt nicht anstrengend.

Und da war es wieder, ganz deutlich vor ihm, SEIN Löwenzahn. Er kroch hinter dem Duft her, aber es war kein Kriechen mehr, es war ein rasantes Vorwärtskommen und dann hatte er es erreicht, im Ziel. Schnapp und Schmatz. Er hatte noch nie, also wirklich noch gar nie vorher so ein leckeres Blatt gegessen wie in diesem Moment. Die Meise kicherte. „Siehst du Otto, du bist heute viel schneller gewesen als sonst.“ „Woher hafft du diefen leckeren Löwenfahn?“ fragte Otto mit vollem Mund. „Das bleibt mein Geheimnis, aber mit diesem Trick werde ich dich trainieren.“ Otto glaubte zwar noch nicht daran, aber die nächsten Wochen erstaunten ihn selber. Seitdem die Meise mit ihm übte war er viel schneller geworden, immer das leckere Blatt vor der Nase. Er würde alles dafür tun, es zu erwischen.

Dann kam der große Tag. Das Rennen.

Insgesamt waren 13 Schnecken angemeldet. Auf Startbahn 4: Otto. Die Meise kam angeflogen und wünschte ihm viel Glück. „Aber, Moment mal. Wo ist denn der Löwenzahn? Du hast ja gar keinen dabei heute“, sagte Otto, „wie soll ich denn dann gewinnen gegen die anderen?“ Mit den Anderen meinte Otto jüngere, fittere Schnecken, einige von ihnen hatten die Jahre vorher immer die ersten Plätze belegt, Otto dagegen war eher Schlusslicht. Er war nervös. „Meise, komm zurück, hilf mir.“ Die Meise kam angeflattert und setzte sich direkt auf Startbahn vier, direkt vor Otto. „Jetzt hör mir mal gut zu. Wenn ich heute, so wie im Training eines der leckeren Blätter im Schnabel hätte, was meinst du denn, was dann passiert? Richtig, die anderen Schnecken würden ebenfalls alles dafür geben, um da ran zu kommen, sie wären dann vielleicht schneller, als je zuvor. Und dann, lieber Otto, hättest du keine Chance. Ich bitte dich deshalb nur um eines. Stelle dir einfach vor, ich hätte so ein leckeres und saftiges Blatt im Schnabel und würde direkt vor dir herfliegen, dann schaffst du es, Otto. Ich bin mir ganz sicher.“

Otto überlegte kurz und schloss dann seine Augen. Die Meise hatte völlig recht. Das hatte er gar nicht bedacht. Und da war es. In seiner Phantasie. Sein Löwenzahn. Zum Greifen nah. Und als das Signal für den Start kam, flog Otto förmlich über die Bahn. Erst als er im Ziel ankam, öffnetet er seine Augen. Doch er war alleine. Er wunderte sich. Was war passiert? Da drehte er sich um und sah, dass alle anderen Schnecken noch nicht mal auf der Hälfte der Strecke waren. So schnell war Otto gewesen. So hatte er nicht nur den ersten Platz geholt, sondern auch einen neuen Schneckenrekord aufgestellt, den bis heute niemand anderes geschafft hat.

Die Meise und Otto waren seitdem beste Freunde und teilten sich alle Würmer und jeden Löwenzahn.

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